Gilgamesch
Das Gilgamesch-Epos ist wohl das älteste Epos der Weltgeschichte. Es ist vor über 3800 Jahren in Babylonien entstanden und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Trümmerschutt des alten Ninives in Bruchstücken der Keilschriftbibliothek des Königs Aschurbunipal ans Licht gefördert worden. Das Gilgamesch-Epos nimmt viele Motive griechischer Mythen und biblischer Themen voraus. Wir begegnen der Sintflut ebenso wie dem Turm zu Babel. Der Götterstier Minotaurus erscheint, aber auch die Sage von Orpheus und Eurydike klingt an. Wir hören von der Schlange im Paradies und von der Fahrt über den Hades in die Unterwelt. Im Zentrum dieses Epos stehen die grossen Fragen unseres Seins: der Mensch in der Auseinandersetzung mit Gott, die Frage von Leben und Tod, die Angst vor dem Weltuntergang, das Streben des Menschen nach Unsterblichkeit - Themen, die ihre Aktualität behalten haben.
Walter Jonas hat diese Dichtung als 33-Jähriger im Jahr 1943 – mitten im Zweiten Weltkrieg – bildlich gestaltet. Die Arbeit wurde angeregt von Friedrich Dürrenmatt, mit dem Jonas damals zusammenarbeitete.
Text und Tafeln:
das-gilgamesch-epos---walter-jonas.pdf [1’590 KB]
Zum Gilgamesch-Epos schrieb Walter Jonas:
"Es sei dem schöpferischen und intuitiven Künstler erlaubt, auf seine Weise und nach seiner Phantasie den eigentlichen Kern aufzuspüren und zu gestalten, besonders auch deshalb, weil es viele Bezüge zu unserer Zeit gibt. Seit Gilgamesch wurden viele Heldengeschichten geschrieben. Immer wieder erringt ein neuer Held unsterblichen Ruhm. Auch heute noch gibt es solche Helden; viele allerdings liegen auf Heldenfriedhöfen, aber es gibt auch Helden des Sportes und der Arbeit, es gibt nationale Helden. Zu allen Zeiten und bei vielen Völkern herrschte die Angst vor Weltuntergängen und auch in unserer Zeit sind solche Ängste äusserst aktuell.
Wohl meistert der Mensch die wilde Natur, aber es scheint, als werde die Zeit drängender, denn die meisten Erfindungen des Menschen dienen der immer umfassenderen, wirksameren Vernichtung des Lebens. Gegen diese gewaltigen Maschinenmonstren aber gibt es keine Helden mehr, keine Sieger – nur Opfer.
In diesem Augenblick wollten wir deshalb den Atem anhalten und über den Satz nachdenken, der über dem Apollotempel in Delphi steht: „Mensch, erkenne Dich selbst.“
"Die Gewissheit des Scheiterns ist kein Argument gegen den Wert, ja die Notwendigkeit eines Kampfes gegen den Tod. Gilgameschs Klage und Kampf ist »eine ungeheure Konfrontation mit dem Tod, die einzige, die den modernen Menschen nicht mit dem bitteren Nachgeschmack des Selbstbetrugs entlässt." (Elias Canetti)